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Samstag, 24. Mai 2014

Noch 1 Tag: Endspurt der nervösen Polit-Hemden

Von PETER WILD


Man hätte es nach 37 Jahren Berufserfahrung als Tageszeitungsredakteur eigentlich wissen müssen. Und doch hatte ich am Freitagmorgen nicht damit gerechnet, was der Redaktion bei der Produktion der Samstagausgabe noch so alles auf den Tisch bzw. ins E-Mail-Postfach flattern sollte. Es war halt der letzte Arbeitstag der Redaktion vor den Wahlen am kommenden Sonntag.


Was alles nicht erschien

Um es vorweg zu sagen: All die Dinge, von denen die nächsten Zeilen handeln, stehen nicht in der Print-Ausgabe der Glocke. Wir halten aus gutem Grund an der alten Tradition fest, in der letzten gedruckten Ausgabe vor einer Wahl keine parteipolitischen Aussagen mehr zu veröffentlichen, in denen gegen den politischen Mitbewerber geschossen wird, der dann keine Möglichkeiten mehr hat, mit einer Gegen-Stellungnahme zu reagieren.
In Online-Foren wie diesem Blog ist das etwas anderes. Wie man das ja aus einschlägig bekannten sogenannten „sozialen“ Netzwerken weiß, kann man sich da ja -vorzugsweise anonym- bis zum gegenseitigen Erbrechen die Meinung m die Ohren hauen. Wer das zu diesem Beitrag möchte, kann uns ja seinen Kommentar senden. Vielleicht schalten wir ihn sogar frei, wenn wir es journalistisch verantworten können, für die Veröffentlichung geradezustehen. (An dieser Stelle können alle Piraten, die ja schon die zeitverzögerte Veröffentlichung, in jedem Fall aber jede presserechtliche Überprüfung solcher Inhalte für Zensur halten, schon mal wieder die Hasskappe aufsetzen).


Stellungnahmen reihenweise

Aber kommen wir zu den Inhalten: Die ersten Stellungnahmen kamen gestern von den beiden SPD-Ratskandidaten Dr. Erich Tertilt und Andreas Hornung, die sich über den Vorwurf in einem Leserbrief der FDP-Ratskandidatin Dr. Beate Janinhoff aufregen mussten, weil die von „Unwahrheiten, die die SPD in ihren Leserbriefen von sich gibt“ geschrieben haben soll. Hat sie auch, aber genau diese Passagen sind in der Glocke gar nicht veröffentlicht worden, weil wir solange an dem Janinhoff-Brief herumredigiert hatten, bis nur noch die Sachaussagen drin stehengeblieben waren.
Da hat sie Glück gehabt, die liebe Beate, dass wir so vorausschauend (andere würden sagen: zensierend) arbeiten! So braucht sie heute nicht zu lesen, dass ihr der Ratskollege Tertilt „Holzhammermethoden“ vorwirft. Unter Doktores eigentlich auch nicht die feine Art. Wir haben übrigens auch Glück gehabt und unsere Leser erst recht, denn wir haben den dadurch eingesparten Platz in unserer Zeitung sinnvoll(er) füllen können.




Wolffs fiese Fliesen

Nicht lesen können Sie in der „Glocke“ heute auch eine Stellungnahme der Heimatvereinsvorsitzenden Mechtild Wolff. Die sah sich veranlasst, so kurz vor der Wahl Stimmung in Sachen Marktplatzsanierung zu machen. Mit einem Horror-Foto, dass eine Geschäftsstraße mit spiegelglatten, superfiesen Fliesen (die würden bei uns nicht mal im Keller liegen) aus der Innenstadt von Minden garniert, versuchte die vor Jahren aus der CDU ausgetretene ehemalige Ratsfrau ihren Ex-Unionskollegen eins auszuwischen. Dabei behauptet sie, dass (die von der Stadt mit der Entwurfsplanung beauftragte) „Firma Pesch & Partner eine überteuerte Neupflasterung mit einem großflächigen, glatten Natursteinpflaster“ vorschlage. So hätte das Büro „schon die Innenstädte von Göttingen und Minden gestaltet, und die Bürger sind selbst entsetzt, dass die Stadt jetzt wie ein Bahnhofsvorplatz aussieht“.
Da hat die liebe Mechtild aber mal wieder einen rausgelassen. Aber ich denke, sie weiß als Ex-Ratsfrau durchaus noch, dass kein externes Büro dieser Welt, auch nicht Pesch & Partner, und kein Bauverwaltungsmann, auch nicht Peter Pesch, von sich aus darüber entscheiden können, welches Pflaster hier verlegt wird. Das macht immer noch der Rat, und zwar der neue, der am Sonntag gewählt wird. Ich bin sicher, wer immer darin sitzen wird, wird einer 60er-Jahre-Terrassenfliese keine Chance in Warendorfs Altstadt geben – in keiner Gasse, und auf keinen Fall auf unserem Marktplatz.
Oder vielleicht doch? Ausgerechnet ein ehemaliger Ratskollege von Mechtild Wolff, Hermann Wohlers, scheint mich da Lügen zu strafen. In seinem Leserbrief auf die bei uns aus gutem Grund noch gar nicht veröffentlichte Horrorgeschichte aus der Wolffschen Feder kritisierte er zwar seine ehemalige Mitstreiterin („Mechtild Wolff übertreibt wieder einmal sehr, ohne zu überzeugen“), um sich dann aber anscheinend und ausgerechnet als Freund des horizontalen Plattenbaus zu outen: Natursteinpflaster habe sich nicht bewährt, und die Begehbarkeit müsse oberste Prämisse sein. Wohlers wörtlich: „Dann wird kaum einer das historische Pflaster vermissen oder ihm nachtrauern.“

„Sogenannte Ehrenmänner“

Und dann ist da auch noch Hans-Georg Hild, der Zwillingsbruder des über Jahrzehnte omnipräsenten und nun aus dem aktiven Polit-Geschehen ausscheidenden CDU-Fraktionschefs (erst im Rat, dann im Kreistag) Karl-Wilhelm. Er äußerte sich einmal mehr zum Thema Führungskrise am Josephs-Hospital. Folgende Worte findet er für das Kuratorium, das, glaubt man dem Bürgermeister (siehe wiederum „Glocke“ von heute), eine jahrelange Pflichtverletzung des deshalb nun entlassenen Vorstandsvorsitzenden aufgedeckt haben will: „Frechheit“, „unverschämtes Spiel“, „unqualifiziert“, „erbärmlich“. Quintessenz des Herrn H. aus F.: „Die sogenannten Ehrenmänner sollten sich in Grund und Boden schämen.“
Man möchte all diesen Protagonisten zurufen: Abrüsten! Streitkultur gehört zur Demokratie, aber bitte die Kultur nicht vergessen. Und nicht vergessen, dass sich am Ende keiner mehr für Ehrenämter findet, wenn Fairness im Umgang untereinander auf der Strecke bleibt.


Die wollen doch nur spielen

Aber nein, so kann dieser Blog nach 20 Tagen nicht enden. Und deshalb sagen wir: Wenn die Wahl erstmal vorbei ist, werden sich die Damen und Herren schon wieder beruhigen. Die wollen doch nur spielen. Hunde, die bellen, beißen bekanntlich nicht. Und eigentlich sind alle, die sich am Sonntag zur Wahl stellen, ganz nette, friedliche und engagierte Menschen, die meisten sogar auch einen Tag vor der Wahl noch.
Darum: Gehen Sie am Sonntag hin und bestimmen Sie mit. Von mir aus auch, damit am Ende nicht doch noch Badezimmerfliesen auf dem Markt verlegt werden.

3 Kommentare:

  1. Liebe Glocke, lieber Herr Wild,

    bloggen hat uns viel gebracht.
    Bloggen, das hat Spass gemacht.
    Bloggend runzelzt du die Stirn,
    bloggend nutztest du dein Hirn,
    bloggend fühltest du dich frei und
    bloggend liest du mache Meinung,
    die sonst ungeschrieben, schwer
    in manchem Kopf geblieben wär‘.

    Den Blog benutzen ist gesund:
    Hier sprichst Du ohne „Blatt“ vor’m Mund!
    Besonders auch der Redakteur –
    die Schreibe las sich halb so schwer.

    Das sollten wir ruhig beibehalten
    und täglich unsern Blog einschalten.
    Bloggend übt man gern Kritik
    an uns und an der Politik.
    Auch ganz unfertige Gedanken
    verweist niemand in ihre Schranken.
    Bloggend kann jeder fein parlieren
    oder bissig kommentieren.
    Ob Du nun recht hast oder nicht.
    Hier sagst Du es, bringst es ans Licht.

    Du bleibst für Dich, hast Du Deine Ruh‘,
    aber Dir hört jeder zu.

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  2. Das ja ein Transparenz Bericht der Glocke! Dazu noch...

    Traditionen haben zuweilen einen Nachteil: Die "Neuen" kennen Sie nicht, wenn diese Tradition nicht häufig zu beobachten ist, im Fall eines seltenen ("Wir wählen alle 5 Jahre") oder gar unsichtbaren Vorkommens ("Darüber spricht man nicht.", "Das weiß doch jeder."). Die Glocke hält sich also an eine Tradition, die sonst vollkommen in Vergessenheit geraten scheint: journalistische Verantwortung. Cool! Wo anders, insb. in Foren diversen bekannten Online-Magazin, herrscht in dieser Hinsicht Wild-West, und ich schließe daraus, dass man solche heere Ambitionen dort gar nicht mehr hat. Ich denke über eine Abo der Glock nach.

    Allerdings, bin ich schon ein bisschen enttäuscht, dass man mit der leider anderorts unüblichen presse-rechtlichen Überprüfung nicht wirbt. Und: Die folgende Kommunikation als Zensur-Vorwurf, der mit Hasskappe [sic] vorgetragen worden ist, zu bezeichnen, ist dann vielleicht doch schon übertrieben:

    Ich: Warum müssen Kommentare freigeschaltet werden? Angst vor zu vielen Reaktionen?
    Die Glocke: eine zusätzliche Hemmschwelle, damit wir nicht mit Kommentaren überhäuft werden. (Mit Similie, der die Ersthaftigkeit der Antwort bezweifeln läßt)
    Ich: Dann kommen die Kommentare halt zusätzlich hier. Zeitversetztes Veröffentlichen ist der kleine Bruder von Löschen.

    Dazu sollte man noch wissen: seit dem 1.März dokumentiere ich jeden gelöschten Beitrag in "einschlägig bekannten sogenannten „sozialen“ Netzwerken", ohne jemals bewusst das Wort Zensur in den Mund genommen zu haben. Transparenz ist für die einen lästig, macht außerdem Arbeit und führt oft zu Streit. Ich bin der Meinung, dass im mathematischen Sinne aber notwendig für die Demokratie ist. Vielleicht denkt die Glocke mal darüber nach und veröffentlicht einmal im Monat/Quartal mal eine Zusammenfassung aller nicht gedruckten Leserbriefe, incl. journalistischer Begründung. Damit so ein Journalismus weiterhin seine Berechtigung hat!

    Könnt ihr auch gern in die Printausgabe übernehmen.

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  3. PS: gehört zur journalistische Verantwortung nicht auch, offensichtliche Rechtschreib- und Grammatikfehler zu eliminieren? Antwort: das gibt die technischePlattform (Blogger - Ein Dienst bei Google) nicht her.

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